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21

Dienstag, 12. Oktober 2010, 10:02

RE: Historische Brisanz

Zitat

Original von ReniA
Zum Glück konnte ich mit meinen Eltern und Großeltern ausführlich darüber reden. Daher habe ich einen gesunden Abstand zu "Nationalitäten".


Wahrscheinlich hattest Du auch Interesse darüber zu reden...bei ihr ist es so dass Geschichte, auch die eigene Familiengeschichte, sie nicht großartig interessiert....schade eigentlich.


Zitat

Es wird nicht gerade oft in der Republik darüber erzählt, dass die Flüchtlinge von 1945 als Polen verstanden und als "Polacken" beschimpft wurden. Schlesier, Ost- und Westpreußen waren halt "anders" - sie sprachen komische Dialekte und nahmen den Einheimischen nach deren Verständnis Lebensraum und die knappen Nahrungsmittel weg.

Die in den Fünfzigern und früher geborenen Kinder (also die Kinder-Generation) sind in vielen Städten noch in den provisorischen Baracken geboren worden - praktisch am Rande der Gesellschaft. Erst Ende der 50-er Jahre wurden die ersten Siedlungen für die Flüchtlinge gebaut.


Ich kenn das, in meiner Heimatstadt wurden in den 50iger Jahren auch sogenannte "Behelfsheime" am Rande der Stadt gebaut. Und wenn Einheimische miteinander erzählten und es wurde ein Name genannt den keiner kannte dann sagten die Leute "na das ist doch ein Flüchtling"....also die Leute hatten ihren Namen weg, wer am Rand der Stadt wohnte der war der "Flüchtling". Und das hab ich als Kind in den 70iger Jahren noch gehört, also 30 Jahre nach Kriegsende waren die Leute immer noch nicht integriert sondern weiterhin "die Flüchtlinge"!

Weiß nur nicht ob das von allen Seiten auch so gesehen wird und man nicht eher der Meinung ist, dass die Leute aus Schlesien und Ostpreußen hier doch mit offenen Armen empfangen wurden!? Denn wie Du schreibst war eher das Gegenteil der Fall, die Leute konnten einem schon leid tun...zuhause vertrieben oder vor der roten Armee geflüchtet und hier unerwünscht!

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Winek

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22

Dienstag, 12. Oktober 2010, 21:26

RE: Historische Brisanz

Halllo Renia und Pedro,
das ist ein interessantes Thema.
Mein Vater war ja auch "Flichtling". Und noch im hohen Alter war das für ihn das schlimmste Schimpfwort, verbunden an ausgenutzt werden, beschimpft werden, gedemütigt werden etc.

Den letzten Teppich oder Goldkettchen für ein paar Eier und Speck....

Die angeblich schnelle Integration der Ost-Flüchtlinge und Vertriebenen in die bundesrepublikanische Gesellschaft ist ein Mythos.

Habe ich hier schon mal das Buch von Andreas Kossert "Kalte Heimat" erwähnt; die erste richtige umfassende Behandlung des Themas durch einen Historiker? Dringende Empfehlung, wenn das Thema interessiert.

Wenn man sich vorstellt: Die Bevölkerung Schleswig-Holsteins hat um fast 50% zugenommen, die von Niedersachsen um ca. 30% - durch die Umgesiedelten und Flüchtlinge. Dass das gerade unter Nachkriegsbedingungen nicht einfach ist, kann man sich auch denken.

Ein Gutes hatte das aber wohl auch: Die Zahl der mit schweren Behinderungen zur Welt kommenden Kinder auf den Dörfern hat wahrscheinlich stark abgenommen - nachdem die Integration dann doch allmählich begann :oczko

Wesermündungsgruß
Erwin

23

Dienstag, 12. Oktober 2010, 22:06

Da können sich die Vertriebenen in beiden Ländern die gleichen Geschichten erzählen. Die aus Ungarn vertriebenen Deutschen wurden von den Einheimischen als Zigeuner beschimpft, die aus Schlesien Vertriebenen als Polacken und die aus Kowel und Lemberg vertriebenen Ostpolen wurden von den Zentralpolen als Russen beschimpft. Das große Glück für den Teil der 13Millionen Vertriebenen Deutschen die in Westdeutschland gelandet sind, war der Wirtschaftsaufschwung in den Nachkriegsjahren der einen enormen Arbeitskräftebedarf und damit eine stabile Einkommensentwicklung garantierte. Auf den hinteren Plätzen die Menschen in der DDR und auch die Ostpolen. Da gab es weniger Entwicklungschancen. Die in den "unter polnischer Verwaltung" stehenden Gebieten gelandeten vertriebenen Polen hatten auch noch das problem das in den ersten Jahrzehnten nach WK II nicht so richtig sicher war ob das nun endgültig polnische Gebiete sind oder auch nicht. Daraus resultierte auch der massive Verfall von Gebäuden in den ehemaligen deutschen Gebieten. Bis heute gibt es oftmals noch ungeklärte Eigentumsverhältnisse. Da schmerzt es schon manchmal, wenn man den daraus resultierenden Verfall von historischer Bausubstanz erlebt.

24

Mittwoch, 13. Oktober 2010, 21:49

Zitat

od Pedro
??? Ich musste mir ja gezwungenermaßen lange Jahre die Geschichtsbücher in der Schule angucken...irgendwas "extrem verzerrtes" konnte ich da nicht feststellen...im Gegenteil, da wurde offen geschrieben wer den Krieg verursacht hat, die Greuel der Nazis, den Holocaust usw..
Natürlich wurde auch geschrieben bzw. im Unterricht darüber gesprochen, dass als Folge des Krieges große Teile Deutschlands an Polen abgetreten werden musste, im Westen Gebiete auch an Frankreich und Belgien. Und eben dass im Zuge dieser Grenzverschiebung im Osten Millionen Deutsche teils gewaltsam vertrieben wurden. Aber dies wurde uns immer als "Folgeerscheinung" gelehrt, also dass es ohne deutschen Kriegsbeginn auch keine Vertreibungen gegeben hätte, genauso auch nicht die Teilung Deutschlands.


Da muß man sich doch fragen, warum denn Brandt nach dem Kniefall in Deutschland als Verräter bezeichnet wurde :mysli


LG

25

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 09:31

Zitat

Original von Oda

Da muß man sich doch fragen, warum denn Brandt nach dem Kniefall in Deutschland als Verräter bezeichnet wurde :mysli



Na wir sollten vielleicht erstmal klären von welchen Schulbüchern in welchen Jahren wir sprechen!? Als Brandt 1970 auf die Knie ging war ich 2 Jahre alt...als ich dann so alt war bewusst Geschichte in der Schule wahrzunehmen hat keiner mehr Brandt als Verräter bezeichnet (außer vielleicht paar Ewiggestrige), zumal Brandt da auch längst politisch keine große Rolle mehr spielte...ich bin quasi mit Kanzler Kohl großgeworden. :oczko

Was in den 50iger bis Anfang 70iger Jahren in den Schulen gelehrt wurde bzw. in den Büchern stand weiß ich nicht, ich rede jedenfalls von der jüngeren Vergangenheit, so ab 80iger Jahre...da konnte ich nichts "verzerrtes" feststellen, im Gegenteil viele Lehrer waren damals sogar eher "links" eingestellt und betonten mehr die deutsche Schuld.

dibawob

unregistriert

26

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 10:42

Zitat

Original von Pedro
Was in den 50iger bis Anfang 70iger Jahren in den Schulen gelehrt wurde bzw. in den Büchern stand weiß ich nicht, ....


Das wurde uns 1951 in der Schule gelehrt. (1940 in Gleiwitz/Glewice geboren)
Aus meinem Archiv. Nachweis-Quelle:

Tellus Verlag, Essen.
Genehmigt für den Gebrauch in Schulen. Kult. Nordrh.-Westf. II E 2/018 Tgb.-Nr. 9152/51 - 14.09.1951

Die Schularbeit zu diesem Thema lautete: (Auszug im original Text.)

In drei Lesebogen brachten wir einen Überblick über Hitlers Innenpolitik, Außenpolitik und den 2. Weltkrieg. Betrachte im einzelnen, wie Hitler in fast all seinen Plänen und Handlungen gegen das christliche Sittengesetz verstieß!
Wir stellten bereits fest, daß Hitler aus dem Schiksal des Eroberes Napoleon und aus dem Ablauf des 1. Weltkrieges keine Lehren gezogen hatte. Stellt noch andere Tatsachen heraus, die uns beweisen, daß Hitler aus der Geschichte nichts gelernt hatte! Können wir aus dem Werk und Untergang Hitlers für uns und unser Vaterland Lehren ziehen? --Stellt sie einmal zusammen!
»dibawob« hat folgendes Bild angehängt:
  • II-Weltkrieg.jpg

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27

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 16:25

Ich sagte doch, ICH kann kein verzerrtes Bild feststellen...Kazmierka schrieb aber doch:

Zitat

Falk: Nicht nur in Polen !!! Schau dir mal die Schulbücher der BRD an !!!


Ich weiß auch nicht WELCHE Schulbücher gemeint waren, die die ich kenne bestimmt nicht!? :mysli

28

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 20:56

Zitat

od Pedro

Zitat

Original von Oda

as in den 50iger bis Anfang 70iger Jahren in den Schulen gelehrt wurde bzw. in den Büchern stand weiß ich nicht, ich rede jedenfalls von der jüngeren Vergangenheit, so ab 80iger Jahre...da konnte ich nichts "verzerrtes" feststellen, im Gegenteil viele Lehrer waren damals sogar eher "links" eingestellt und betonten mehr die deutsche Schuld.


Aber trotzdem war es ein Ereigniss, als Weizsäcker am 8. Mai 1985 von 'Befreiung' zum Kriegsende sprach. Es gab eine ziemliche Diskussion - 40 Jahre nach Kriegsende :mysli

LG

29

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 21:04

In welchen Geschichtsbüchern steht etwas darüber wer den Österreicher finanziert und an die Macht gebracht hat? In wessen Schulbüchern konnten wir etwas darüber lesen wer die Revolution in Russland finanziert hat und wer den Verbrecher Stalin finanziert hat? Wer hat etwas in Schulbüchern darüber gelesen, wann Deutschland die letzte Rate für den Ersten Weltkrieg abgestottert hat?
Wer hat in der Schule die Namen der Hauptaktionäre der IG-Farben die das KZ Auschwitz-Monowitz betrieben haben gelernt? Mit wem war die Ehefrau des deutschen Propagandaministers Goebbels gut befreundet? Wer hat in Potsdam den WK II ohne Schaden für Leib und Seele überstanden , obwohl seine Brüder im Glauben massenhaft über den "Jordan" gingen? Wer diese Fragen richtig beantworten kann , hat schon einen Anfang gemacht. Den Anderen der gute Rat: Weiterlesen oder lieber nicht über Geschichte reden.

Die Geschichtsbücher sind reine Propagandainstrumente der jeweils Herrschenden . Mit der Realität hat das reichlich wenig zu tun.

30

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 21:12

Die 15Millionen Deutschen die ihre Heimat verloren haben , hatten verständlicherweise etwas Probleme ihre Befreiung von Hab und Gut angemessen als Befreiung zu würdigen. Nicht alle deutschen Frauen hatten 1945 Lust auf einen Quickie.
Also recht verständlich die Befreiungsdiskussion. Nicht jeder freut sich darüber wenn er in einem geächteten Feindstaat (ohne Verfassung und Friedensvertrag) lebt. (bis heute übrigens)

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Winek

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31

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 21:33

Zitat

Original von Oda


Da muß man sich doch fragen, warum denn Brandt nach dem Kniefall in Deutschland als Verräter bezeichnet wurde :mysli


LG


Hi Oda,
da spielt aber noch ein innenpolitischer Umstand mit hinein, warum von seiten der Vertriebenenverbände Brandt (und die SPD) als Verräter bezeichnet wurden:
Die SPD hat in den 1960ern massiv um die Wählerstimmen der Vertriebenen bemüht, um die CDU als Regierungspartei abzulösen. Auf dem SPD-Parteitag 1964 prangte eine riesige Karte von Deutschland in den Grenzen von 1937 hinter dem Rednerpodium. Erst 1968 entschloss sich die SPD zu einer Änderung ihrer Position, was prompt zu erheblichen Verlusten bei Landtagswahlen führte. Die SPD hat sich also zunächst als Fürsprecher der Interessen der Vertriebenenverbände dargestellt, einschließlich der Gebietsvorstellungen (also sehr verständlich, dass man sich in Polen nicht sicher war, wie das weitergehen würde), als sie aber (mit) an der Macht war, diese im Zuge der neuen Ostpolitik fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Nicht, dass mir die damalige Position der Heimatvertriebenenverbände sympathisch wäre, dennoch erklärt das die besonders negativen Emotionen damals gegenüber SPD und ihrer Leitfigur Brandt.

Der Kniefall als solches war wohl weniger das Problem, wenn er auch hohe Symbolkraft hatte, eher die vertragliche Zusicherung der Anerkennung der Oder-Neisse-Grenze.

Pozdrawiam
Erwin

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32

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 21:57

Zitat

Original von dibawob


Das wurde uns 1951 in der Schule gelehrt. (1940 in Gleiwitz/Glewice geboren)
Aus meinem Archiv. Nachweis-Quelle:

Tellus Verlag, Essen.
Genehmigt für den Gebrauch in Schulen. Kult. Nordrh.-Westf. II E 2/018 Tgb.-Nr. 9152/51 - 14.09.1951

Die Schularbeit zu diesem Thema lautete: (Auszug im original Text.)

In drei Lesebogen brachten wir einen Überblick über Hitlers Innenpolitik, Außenpolitik und den 2. Weltkrieg. Betrachte im einzelnen, wie Hitler in fast all seinen Plänen und Handlungen gegen das christliche Sittengesetz verstieß!
Wir stellten bereits fest, daß Hitler aus dem Schiksal des Eroberes Napoleon und aus dem Ablauf des 1. Weltkrieges keine Lehren gezogen hatte. Stellt noch andere Tatsachen heraus, die uns beweisen, daß Hitler aus der Geschichte nichts gelernt hatte! Können wir aus dem Werk und Untergang Hitlers für uns und unser Vaterland Lehren ziehen? --Stellt sie einmal zusammen!


...na immerhin, obwohl auch bezeichnend: Hitler hier, Hitler da, Hitler dort.... was der alles alleine geschafft hat Und der Rest Deutschlands war völlig unschuldig und wurde willen- und ahnungslos in den Untergang geführt, wie Schafe zur Schlachtbank. Also eigentlich waren wir selbst Opfer von Hitler.

Machen wir uns nichts vor: Da war schon gewaltig "Komplexitätsreduktion" am Werke. Etwas später waren es dann die Nazis, also immerhin schon so drei, vier Bösewichte, die Schuld an allem hatten :teufel:

Dann kam die Phase, in der die jüngere Generation, ok soll heißen, der Teil davon, der sich dafür interessierte, die ältere Generation pauschal verurteilte (so in den 70ern und 80ern): "Wo warst Du damals, ...." Oftmals natürlich die Gnade der späten Geburt auskostend und sehr selbstherrlich. Auch ich war in der Pubertät wohl nicht bereit, meinem Vater zuzuhören (Jahrgang 1919, Soldat von 1939-1945). Andererseits: Die durften sich ja auch nicht wundern, weil sie so schön Schweigen und Schwamm drüber ausgebreitet hatten. Aber auch das kann man natürlich heute leicht sagen.

Was ich in unserem deutschen Bemühen, uns mit dem was wir angerichtet haben,auseinanderzusetzen, jüngst sehr schätze, ist die Bereitschaft zuzuhören, wie Leute, die damals dabei waren (als Soldaten, einfache Leute), die Zeit erlebt haben. Paradebeispiel ist, finde ich, die Dokumentation mit und über Traudl Junge, und wo weder auf das Aufzeigen der Verstrickung verzichtet wird, noch pauschal verurteilt wird, sonder wo es erstmal darum geht, zu verstehen, was damals passierte. Ohne zu relativieren. Leider sind nicht mehr sehr viele da, die erzählen können.

Wesermündungsgruß
Erwin

33

Freitag, 15. Oktober 2010, 10:17

Zitat

Original von Oda

Zitat

od Pedro

Zitat

Original von Oda

as in den 50iger bis Anfang 70iger Jahren in den Schulen gelehrt wurde bzw. in den Büchern stand weiß ich nicht, ich rede jedenfalls von der jüngeren Vergangenheit, so ab 80iger Jahre...da konnte ich nichts "verzerrtes" feststellen, im Gegenteil viele Lehrer waren damals sogar eher "links" eingestellt und betonten mehr die deutsche Schuld.


Aber trotzdem war es ein Ereigniss, als Weizsäcker am 8. Mai 1985 von 'Befreiung' zum Kriegsende sprach. Es gab eine ziemliche Diskussion - 40 Jahre nach Kriegsende :mysli

LG


Aber das hat nix mit den Schulbüchern zu tun! Diese waren für die junge Generation, die den Krieg nicht miterlebten, die Diskussionen über "Befreiung", "vertreibung" etc. führten aber die, die das alles noch selbst erlebt haben. Also sind das für mich zwei paar Schuhe...!

Wie Diabel schon schrieb haben viele Menschen das Kriegsende eher mit Schrecken erlebt, gerade die "Befreier" der roten Armee haben in Ostpreußen wie die Barbaren gewütet bzw. überall wo sie auf deutsche Frauen stießen erstmal ihrem Rache-/Mordtrieb freien Lauf gelassen...dass dann diese Leute ein Problem damit hatten das Kriegsende als Befreiung anzusehen ist verständlich...ebenso die Leute, die aufgrund des Kriegsendes aus ihrer Heimat vertrieben wurden und alles verloren haben.
Natürlich haben gerade die russischen Soldaten vorher gesehen wie die Deutschen ihr Land verwüstet haben und somit ist dieser Hass auch menschlich nachvollziehbar, trotzdem haben sie sich eben nicht wie "Befreier" aufgeführt sondern wie Sieger, denen die Besiegten hilflos ausgeliefert waren...

Im Westen dagegen war das ganz anders, meine Mutter war bei Kriegsende 15 Jahre alt und erzählte wie die amerikanischen Soldaten Kaugummis und Schokolade an die Kinder verteilten, Mord und Vergewaltigungen gab es da nicht, da sich die Amerikaner im Gegensatz zu den Russen weitestgehend zivilisiert verhielten.

Also gab es auf Weizäcker´s Rede geteilte Meinungen...die einen (im Westen) fühlten sich überwiegend schon befreit, es brach eine neue Zeit an mit amerikanischer Musik, Lebensmittel, Nylonstrümpfen etc. und im Osten dagegen wurde eine Diktatur von der anderen abgelöst, verbunden mit Hass und Rache an der Zivilbevölkerung.

Winek

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34

Freitag, 15. Oktober 2010, 15:38

@Oda,

ja, diese Rede war ein Ereignis. Richtig aufgeregt haben sich aber nur die strammen Rechten (Dregger, Strauß und Co.). Ich glaube, die Rede war für viele Deutsche auch eine Befreiung. Das meine ich als einen weiteren Aspekt, der das, was hier über die Perspektive von denjenigen, die ihre Heimat verloren oder Vergewaltigungen durchlitten hatten, nicht in Frage stellen soll.

Ich glaube, Weizsäcker durchbrach damals etwas: Z.T. ja noch in Schulbüchern, aber gewiss bei vielen von uns Deutschen, leider bis heute, gab es eine Mischung von Beschränkung der Schuldfrage auf die bösen Nazis (mit denen natürlich keiner was zu tun gehabt hatte, ist ja klar), in Verbindung mit viel Verdrängung, Scham, aber auch Traumata, an die man nicht rühren wollte (oder konnte...).

Und nun kommt nicht irgendein Linker, die das ja schon immer anders thematisiert hatten, sondern ein CDU-Mann, der Bundespräsident ist und 6 Jahre Soldat war (vom ersten Tag an,übrigens), also mitreden konnte, und sprach, wenn auch einfühlsam, Klartext.

Ich glaube auch, dass die große Mehrzahl der Deutschen, die 1945 alt genug dafür waren, wohl wusste, was sie (mit) angerichtet hatten, aber es ist ja nicht leicht, sich einzugestehen, das man, wenn auch nur ein kleines, so doch ein Rädchen im großen Getriebe war. Weizsäcker drehte jetzt durch Nutzung des Begriffs der Befreiung die Erinnerungsarbeit ins Positive (Zusammenbrüche verdrängt man lieber). Er thematisierte die Verstrickungen und eine (relative) Kollektivschuld, er forderte eine Erinnerungskultur. Er brachte also einerseits die Konsequenzen von 45 mit 33 in eine klare Verbindung, und erlaubte doch einen "Neuanfang". Die Rede, ich habe sie gerade noch mal gelesen, ist wirklich ganz außerordentlich bemerkenswert, weil sie ohne Arroganz des Spätgeborenen ganz klar Tacheles redet, ohne zu zerstören. Sie ist wohl nicht von ungefähr so leicht im Internet zu finden und gilt als eine der großen, wichtigen Ansprachen bundesdeutscher Präsidenten.

Von Befreiung hatten andere auch schon gesprochen, aber es war vielleicht zum erstenmal ein Bundespräsident, der den 08. Mai als Tag der Befreiung auch für die Deutschen in Anspruch nahm. Und wenn sich so ein Repräsentant auf diese Weise den schwierigen Fragen stellt, (Schuldakzeptanz) dann wird es auch anderen möglich.
Ja, ich glaube, die Rede war ein Meilenstein im Prozess der Auseinandersetzung, den die (bundes-)deutsche Bevölkerung machte. Kaum zu glauben, dass das 25 Jahre her ist.

Wesermündungsgruß
Erwin

Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von »Winek« (15. Oktober 2010, 15:47)


35

Freitag, 15. Oktober 2010, 20:03

Bei "von Weizäcker" fällt mir nur ein: Wenn ein SS-Brigadegeneral(SS-Mann Nr. 293.291) nix von Auschwitz wusste, woher sollten es dann dann die anderen wissen??

http://books.google.com/books?id=UixGq2m…%A4cker&f=false

http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_von_Weizs%C3%A4cker

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Winek

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36

Freitag, 15. Oktober 2010, 20:43

....auch ein brisantes , und schwieriges Thema. Aber der Richard v. Weizsäcker hat es immerhin offen angesprochen.

Wenn ich nur wüsste, woher dieses Zitat stammt (sinngemäße Wiedergabe): In dieser Zeit gab es Fragen, die man stellen konnte, und Fragen, die man nicht stellen konnte (ohne in Schwierigkeiten zu geraten). Und man wusste genau, welche Fragen man nicht stellen konnte....; aber man hat auch nicht die Fragen gestellt, die man hätte stellen können, oder wenn man sie hätte stellen können, ohne Schwierigkeiten zu bekommen.

Übrigens auch sehr aufschlussreich zum Thema, was gewusst wurde, vermutet wurde, nicht "wissen gewollt" wurde etc.:

Sönke Neitzel: Abgehört. Deutsche Generale in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945. List Verlag 2007
Richard Overy: Verhöre. Die NS-Elite in den Händen der Alliierten 1945. Ullstein-Taschenbuch 2005

Ich denke, noch schwieriger wird das bei der Beurteilung dessen, was "einfache Leute" wussten, nicht wussten, nicht wahrhaben wollten, vermuteten, ...und welche Quellen gab es, außer was getuschelt wurde (wenn überhaupt).

BBC hören war ja ganz schön gefährlich...

Grüße
Erwin

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