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Montag, 27. August 2007, 22:49

Polen verstehen

Zitat


Der konfrontative Politikstil der Kaczynski-Brüder lässt sich nur aus der polnischen Geschichte verstehen. Sie versuchen, an die alten Konzepte von Familie und Widerstandsmythen anzuknüpfen.

Die polnische Regierung ist allem Anschein nach gescheitert. Nach einer grotesk anmutenden Phase von Streit und erneuter Annäherung haben sich die Koalitionspartner wohl endgültig getrennt. Die Regierung ging aber nicht vorrangig an mangelnden Erfolgen zugrunde, sondern an einem inneren Widerspruch. Sowohl in der Außenpolitik als auch in der heimischen Wirtschaftspolitik agierte die Koalition zumindest nicht falsch: Die Arbeitslosigkeit ging zurück, die Wirtschaft wuchs wieder kräftig, und das Land etablierte sich als selbstständiger Dialogpartner für Freunde und Kontrahenten.

Die Dreierkoalition aus der nationalkonservativen "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), der populistischen "Selbstverteidigung" und der "Liga Polnischer Familien" war jedoch von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil sie ein zentrales Versprechen in keiner Weise einhalten konnte: das der familiären Harmonie.

Die Familie ist die zentrale Kategorie, mit der die politische Idee der Kaczynskis steht und fällt. Mitglieder der nationalen Gemeinschaft, so lautet der Grundgedanke, sind miteinander "verwandt", die Staatsbürger zur gegenseitigen Solidarität verpflichtet. Unsere "Familie" ist besser und wichtiger als "fremde" Familien. Es handelt sich um ein vormodernes Verständnis der Beziehung zwischen Bürgern. Mit diesem sprechen die Kaczynskis von der Modernisierung ausgeschlossene Wähler an.

Regierungsparteien als klassische Familienunternehmen

Der Begriff der Familie ist kein rein ideologisches Konstrukt: Alle drei Regierungsparteien können vielmehr als klassische Familienunternehmen begriffen werden.

Im Jahre 2005 wurde Lech Kaczynski Staatspräsident, seine Partei PiS, die von seinem Zwillingsbruder Jaroslaw geführt wird, hatte zuvor die Parlamentswahlen gewonnen, und nach einem Anstandsjahr übernahm dieser selbst das Amt des Ministerpräsidenten. Die PiS bildete eine Koalition mit der Liga der Polnischen Familien. An deren Spitze steht mit Roman Giertych der ehemalige Anführer eines rechtsextremen Schlägertrupps. Sein Vater, der Europaparlamentarier Maciej Giertych, machte sich einen Namen, indem er antisemitische Schriften verfasste und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hitler verglich. Der Großvater von Roman Giertych war in den 30er-Jahren ein prominenter polnischer Antisemit und Ultranationalist. Er ist für seinen Sohn und seinen Enkel ein erklärtes Vorbild.

Die dritte Partei in der aufgelösten Koalition ist die "Selbstverteidigung", geleitet von Andrzej Lepper, der nach Korruptionsvorwürfen seine Ämter als Vizepremier und Landwirtschaftsminister verloren hat. An seine Stelle sollte sein Sohn Tomasz Lepper, ein Sejmabgeordneter der "Selbstverteidigung", treten. Das wichtigste Propagandainstrument Kaczynskis, das Radio Maryja, leitet der Hassprediger Pater Rydzyk.

Mit der Überbetonung der Familie aber, und hierin verbirgt sich der entscheidende Widerspruch, ist die Vorstellung von Kontinuität verbunden. Das politische Programm der Kaczynskis ist jedoch geprägt von Diskontinuität, von einem Bruch mit den Jahren des postkommunistischen Polen seit 1989. Die Kaczynski-Regierung präsentierte sich als Neugründer des Staates, sie entwarf das Modell einer "Vierten Republik", als sei in der Zeit des politischen Umbruchs nicht bereits etwas fundamental Neues entstanden.

Der Gründungsmythos dieser Republik ist der Warschauer Aufstand, bei dem sich polnische Widerständler im Sommer 1944 63 Tage lang gegen die deutschen Besatzungstruppen zur Wehr setzten. Diese Zeit eines Untergrundstaats zwischen zwei Zeiten des Totalitarismus gilt als Anker für das nationale Gedächtnis.

Allerdings ist, und dies weigert sich die amtierende Regierung zu akzeptieren, die Tradition des Untergrunds auch in der Volksrepublik fortgesetzt worden. Der Widerstand gegen die sozialistische Führung brachte Persönlichkeiten wie den späteren Papst Karol Wojtyla oder den späteren Nobelpreisträger Lech Walesa hervor. Selbst die Kaczynskis sind Produkte dieser Epoche.

Wiedergeburt des souveränen "heiligen" Polens

Obgleich unter sowjetischem Joch, leisteten Polens Bürger permanenten Widerstand gegen den Kommunismus. Die Regierungen im postkommunistischen Polen bauten auf diesen Errungenschaften auf und begründeten damit den Erfolg des späteren EU-Beitrittslands.

Statt jedoch das - mindestens - halb volle Glas zu sehen und auf eine Kontinuität mit dieser wahrlich großartigen Tradition zu setzen, lancierten die Kaczynskis eine Wiedergeburt des souveränen "heiligen" Polens nach 60 Jahren angeblicher Nichtexistenz. Die Menschen sollten durchleuchtet und entkommunisiert, eine neue Realität konstruiert werden. Die Kaczynskis setzten damit die polnische Geschichte zu Unrecht mit der sowjetischen gleich.

Wenn eine Familie aus so einer Geschichtsrevision erwächst, dann nur als klonartige, genetische Züchtung. Natürlich soll die Realität Polens verändert werden. Man darf und muss sogar eine Politik der Prinzipientreue und nationalen Interessen betreiben. Kaczynski versuchte, mit einem Kriminellen gegen Korruption zu kämpfen und mit einem Hassprediger für die Wahrheit. Er hat also keinen guten Geschmack - aus der Sicht des großen polnischen Dichters Zbigniew Herbert eine politische Todsünde. So verdankt es Jaroslaw Kaczynski sich selbst, am Tiefpunkt seiner Macht angelangt zu sein: Bei den sich abzeichnenden Neuwahlen wird er den Wählern allerdings wieder eine "historische Entscheidung" abverlangen und vielleicht, aufgrund der Schwäche der Opposition, eine Regierung mitbestimmen.

Piotr OlszÓwka, geboren in Kattowitz, lebt als Publizist, Autor und Übersetzer in Berlin.


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