So, dann werde ich mal meine Meinung über den Film kundtun.
Mein erster Eindruck: Das ist kein Film für Polen (das versucht er noch nicht mal ansatzweise zu sein), sondern für Deutsche - also Leute, die allgemein über polnische Geschichte wenig bis gar nichts wissen. Als solcher ist er durchaus wertvoll und lehrreich, denn das Zeitkolorit, die Verhältnisse im Polen der Sechziger und Siebziger sowie die einschneidenden historischen Ereignisse dieser Zeit gibt er recht angemessen wieder.
Katharina Thalbach gefällt mir am Anfang noch nicht so besonders, denn da ist sie noch zu sehr sie selbst, also Katharina Thalbach. Doch spätestens ab der Brandkatastrophe wächst sie über sich hinaus und geht ganz in der Rolle der Anna Walentynowicz auf. Eine ihrer beeindruckendsten schauspielerischen Leistungen!
Und da ich schon bei der Brandkatastrophe bin, komme ich auch gleich zu den Schwächen des Films: Schlöndorff übernimmt hier ganz die offizielle Parteiversion, dass der Brand von einem versoffenen Arbeiter ausgelöst wurde, der trotz Verbots geraucht hat. Ist es nicht eigentlich viel näher liegend, dass die zündende Flamme von einem Schweißgerät anstatt von einem Streichholz beim Anzünden einer Zigarette kam? Aber gut, die tatsächliche Ursache lässt sich heute wohl kaum noch ergründen. Es
könnte so gewesen sein wie von Schlöndorff dargestellt - könnte aber auch nicht. Doch wenn ein Regisseur in einem Film mit dokumentarischem Anspruch den Hergang der Ereignisse dergestalt festschreibt, das ist ungefähr so, wie wenn in den USA ein Richter ein Todesurteil verhängt - auf die Gefahr hin, dass sich der Verurteilte nach seiner Hinrichtung als unschuldig erweist. Kein Wunder, dass solche Szenen in Polen Unwillen und sogar Empörung ausgelöst haben.
Eine weitere Sünde, die ich vor allem in amerikanischen und deutschen Filmen mit dokumentarischem Charakter immer wieder beobachte, ist der lässige und manipulative Umgang mit dem persönlichen Schicksal von Menschen. Ein konkretes Beispiel: Es stimmt, dass Anna Walentynowiczs große Liebe zu einem Zeitpunkt verstarb, als sie eigentlich mit ihrem eigenen Tod rechnete. Allerdings verstarb ihr Mann an Krebs - zwar innerhalb sehr kurzer Zeit, aber eben doch nicht plötzlich und völlig unerwartet an Herzversagen, wie im Film dargestellt. Was jedoch noch wichtiger ist: Er starb im Herbst 1971 - ein knappes Jahr
nach den einschneidenden Ereignissen vom Dezember 1970, als die Regierung kurz vor Weihnachten drastische Preiserhöhungen ankündigte, woraufhin wütende Arbeiter die Fensterscheiben der Danziger Parteizentrale einwarfen und die Miliz 49 Menschen erschoss. Im Film aber tritt der Tod ihres Mannes bereits in den späten Sechzigerjahren ein, also
vor jenen Geschehnissen. Dass mit solchen persönlichen Schicksalsschlägen "aus dramaturgischen Gründen" derart hin und her jongliert wird und diese auch gern mal aufgebauscht werden, empfinde ich als einen unverzeihlichen Ausdruck von Mangel an Achtung gegenüber den betreffenden Menschen. Kein Wunder also, dass sich Anna Walentynowicz in diesem Film nicht hinreichend wiedererkennt. (Allerdings war sie wohl schon von vornherein strikt gegen eine Verfilmung ihres Lebens.)
Wer den Film gestern Abend gesehen hat, hat sich sicher auch die anschließende einstündige Dokumentation über die echte Anna Walentynowicz angeschaut. Beide Filme zusammen ergeben meiner Ansicht nach ein recht abgerundetes und realistisches Bild der Verhältnisse im Polen der Siebzigerjahre und der Ereignisse, die der Entstehung der unabhängigen Gewerkschaft "Solidarität" zugrunde lagen. Mögen sie auch in Zukunft immer nur direkt nacheinander ausgestrahlt werden!