8 Jahre ist er alt, erzählt Prince - und zertrümmert dabei mit einem handballgroßen Stein die Scheibe eines Monitors, der vor ihm auf dem Boden liegt.
Es könnte heute ein guter Tag für ihn werden, meint er. Vor einer Stunde kam ein LKW mit jeder Menge Elektroschrott. Mit etwas Glück könnte er es heute auf 2,00 Euro Lohn bringen. Gerade genug für frisches Wasser, einige Tomaten und einen sicheren Schlafplatz oben auf einer der Wellblechhütten. Solche Schlafplätze sind begehrt, beteuert er.
Seine Eltern leben nicht mehr, er muss sich mit seinem Bruder alleine durchschlagen, erklärt er und scharrt etwas verlegen mit seinen alten Flipflops im Dreck. Der Boden besteht fast nur aus Asche, überall liegen Kabel herum, zerbrochene Platinen, Tastaturen, Prozessoren, Transformatoren und Hunderte Kothaufen. Auf Schlammlöchern und Tümpeln treiben Flecken, die grün, orangefarben oder blaumetallisch leuchten.
Sein Bruder, einige Meter weiter, gehört mit seinen 10 Jahren schon zu den älteren Kindern auf dem Schrottplatz und ist kaum zu erkennen, so dicht wabbert der giftige Rauch über den Platz in Ghanas Hauptstadt Accra. Er verbrennt riesige Kabelknäuel, um an Kupferdrähte zu gelangen. Oft benutzt er zur Brandbeschleunigung neben Autoreifen auch FCKW-haltigen Schaumstoff aus alten Kühlschränken und verpestet damit die Luft noch zusätzlich mit Dioxin- und Furandämpfen.
Viele der anderen Kinder hier sind erst fünf oder sechs Jahre alt. Sie alle arbeiten auf dem größten Elektroschrottplatz des westafrikanischen Landes, einer gigantischen Giftmüllhalde. Hier lassen sich Konzentrationen von Blei, Kadmium, Barium, Quecksilber, Chrom, Arsen, Beryllium oder Chlorbenzol finden, die Normalwerte um das Hundertfache übersteigen. Tausende Menschen leben von diesem Ort, an dem sich ausgeweidete PC-Gehäuse und zersplitterte Bildschirme teilweise bis zu vier Meter hoch türmen. Und Tausende dieser Menschen sind oftmals extrem krank.
Wie lange Prince noch auf der Elektroschrotthalde arbeiten wird, weiß er nicht. Schon jetzt plagen ihn manchmal heftige Kopfschmerzen und Übelkeit, außerdem zerschneidet er sich beim Zerschlagen der Monitore oft die Finger. Er müsse die Arbeit machen, sagt er, er wolle doch seine Schulgebühren verdienen. Und träumt dabei von einem besseren Leben.
In die nächstgelegene Schule geht er allerdings nur selten, da das Geld dafür meist nicht reicht. Manchmal erhält er gar keinen Lohn. Auf dem Weg zum Schrotthändler, sagt er, sei er schon oft von Älteren überfallen worden, die ihm das wenige Metall auch noch wegnahmen.
Einsamer als dieser Junge kann man sich kaum fühlen.
Yentumi kennt die Leiden der Elektroschrott-Kinder: Ihm gehört die Apotheke im Slum "Sodom und Gomorrha", eine kleine blaue Bretterbude. Er gibt Paracetamol gegen die Stiche in der Lunge, er verkauft viel Hustensaft, und er kann Tetanusspritzen setzen, wenn die Kinder sich die Hände und Füße an scharfen Computertrümmern aufgerissen haben. Mehr kann er nicht tun, oft weiß er deshalb nicht weiter. Viele müssten ins Krankenhaus, aber das können sie nicht bezahlen. Sie verschwinden dann. Niemand weiß, wohin.
So sieht es aus, wenn Europa und die USA vorgeben, die "digitale Kluft" zwischen der Ersten und der Dritten Welt schließen zu wollen. Drei Viertel der Desktops, Laptops, Drucker und Co., die als Secondhandware nach Afrika exportiert werden, sind schlicht Elektroschrott.
Obwohl eine Brüsseler Richtlinie vorschreibt, dass alle Geräte von den Verkäufern oder Kommunen fachgerecht und entsprechend teuer entsorgt werden müssen, passiert es trotzdem, dass nur 25 Prozent der in der EU verkauften Rechner oder Bildschirme auch in Europa wiederverwertet werden.
Ein Export dieser Schrottteile ist zwar grundsätzlich verboten, wird aber mit einem kleinen Trick umgangen. Solche Teile werden oft als Secondhandware, als Spenden für Schulen, Universitäten oder Hilfsorganisationen deklariert. Deshalb können Exporteure in Hamburg, Rotterdam oder in den USA völlig kaputte Elektronik als Gebrauchtware exportieren. Und erzielen dabei enorme Gewinne.
Jedes Jahr, so schätzt die UN-Umweltbehörde, fallen weltweit 50 Millionen Tonnen hochgiftigen Hightech-Mülls an, allein in Deutschland sind es etwa eine Million. Und die Menge nimmt ständig zu, denn mit jeder technischen Neuerung wachsen die Elektroschrottberge in Afrika, China und Indien.
Zum Glück für die kranken Schrottkinder. Ihr Auskommen ist damit für die nächsten Jahre gesichert.
Nennt sich, glaube ich, Entwicklungshilfe.
Kinderarbeit? Menschenrechtsverletzungen? Hungerlöhne? Das ist in Afrika eine gaaaanz andere Geschichte. Bei den Afrikanern ist das ja nicht wie bei uns. Wenn die ein Bierchen haben und etwas Musik zum Tanzen, dann sind die doch bestens zufrieden. Denn der Afrikaner kann per se kein Geld behalten, der gibt das sofort wieder aus. Keine Ahnung, wofür. Wenn man einem Afrikaner hunderttausend Dollar gibt, verschleudert er sie doch innerhalb von wenigen Tagen. Dann ist er wieder arm, wie eine Kirchenmaus. Aber er fühlt sich dann ohnehin viel wohler.
Und überhaupt - was heißt denn hier Afrika. Ist weit weg. Und dass Afrikaner nicht lange leben, ist doch allgemein bekannt.
Ich frage mich nur, wann die Menschen / Konsumenten endlich begreifen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Und das das, was wir in anderen Ecken dieser Welt den Menschen und der Natur antun, über kurz oder lang wieder bei uns landen wird. Soviel ist sicher.
Und das bezieht sich nicht nur auf Afrika, sonder auch auf Indien, Bangladesch, Pakistan.
An dieser Stelle könnte man noch eine weitere traurige Geschichte erzählen. Und zwar nicht über die Entsorgung, sondern über die Produktion von Handy, Computer und Co. Und über die teilweise unsäglichen Qualen der meist weiblichen "Produktionshelfer".
Aber lassen wir das.
Vielleicht denken wir in Zukunft einfach mal ein wenig darüber nach, bevor wir wieder ein super-günstig-geiz-ist-geil-jetzt-oder-nie-Schnäppchen - egal welcher couleur - mit immenser Freude nach Hause schleppen.
Denn solange es Tausende von Menschen gibt, die kein Interesse oder auch keine finanziellen Mittel haben, um ihren Lebens- und Konsumstil zu ändern, wird sich der soziale und ökologische Zerfall der Welt nicht aufhalten lassen. Und der soziale Friede auf dieser Welt rückt in immer weitere Ferne.
Man sollte als ökologisch und sozial ambitionierter Mensch vor allem eines sein: kritisch.
"Echter Fortschritt kann nur durch vermehrte Aufklärung stattfinden, und das bedeutet so viel wie die Zerstörung von Mythen", sagte schon George Orwell.
Also - kritisch bleiben und dem eigenen Urteil vertrauen! Und Augen auf beim Einkauf!