Düsteres Bild
Ein Bündnis aus ehemaligen Psychiatriepatienten, Intersexuellen und DDR-Veteranen brachte die Uno dazu, Deutschland ein vernichtendes Zeugnis auszustellen.
Christiane Lüst aus Gauting bei München gehört zu den Menschen, die der BRD, wie sie sagt, kritisch gegenüberstehen. Die Diplom-Sozialpädagogin engagiert sich gegen Gentechnik, gegen Handy-Funkmasten, gegen die A 99 und gegen den Pflegenotstand. Sie hat die Bundesregierung und den Bundespräsidenten wegen Menschenrechtsverletzungen angezeigt. Gern wäre sie für die Umweltpartei ÖDP in die Politik gegangen, aber bei der bayerischen Landtagswahl scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde.
Doch nun ist Lüst ein politischer Erfolg gelungen. Die Uno, respektabelste Behörde der Welt, stellt der Bundesrepublik in einem Länderbericht ein schlechtes Zeugnis aus. Millionen Kinder in Deutschland hungerten. Ausländer, Ostrentner, ehemalige Psychiatriepatienten und sexuelle Minderheiten würden systematisch benachteiligt. Das Streikrecht sei teilweise außer Kraft gesetzt. Erwerbslose, man glaubt es kaum, würden in Deutschland zur Zwangsarbeit herangezogen.
Verständlich, dass der schockierende Bericht vergangene Woche ein großes Medienecho auslöste. "Deutschland, Entwicklungsland", titelte die "Süddeutsche Zeitung". "Ist Deutschland ein Armenhaus?", fragte die "Sächsische Zeitung". Die SPD sprach von einer "Ohrfeige für die Bundesregierung", und die Linke forderte einen "Armuts-TÜV".
Die Uno bestätigt das düstere Bild, das sich Lüst von den Verhältnissen in der Bundesrepublik gemacht hat. Das ist kein Zufall. Wesentliche Teile des Berichts gehen auf ihre Expertise und die ihrer Mitstreiter zurück. Anfang Mai waren Lüst und weitere Lobbyvertreter nach Genf gereist, um dem UN-Wirtschafts- und Sozialrat zu erzählen, wie schlimm es in Deutschland zugehe. Der Verein für "Intersexuelle Menschen" war ebenso vor Ort vertreten wie der "Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener" oder der Verein "Frauenhauskoordinierung".
Besondere Qualifikationen wurden von der Uno nicht verlangt. Es reichte, sich als Vertreter einer Nichtregierungsorganisation zu akkreditieren und spätestens sechs Wochen vor dem Termin einen Bericht einzuschicken. "Manche Sachen haben die bei der Uno wörtlich von uns übernommen", freut sich Lüst, das finde sie "total gut".
Zum Beispiel dass "bis zu 25 Prozent aller Schüler ohne Frühstück zur Schule gehen", wie es in dem Uno-Bericht heißt, ein erschreckend hoher Wert. Armutsforscher waren von einer niedrigeren Zahl ausgegangen.
Tatsächlich stammt die Information weltexklusiv aus dem Papier von Attac und "Forum Pflege aktuell", einer in der Fachwelt bislang kaum bekannten Lobbyorganisation. Christiane Lüst hat das Papier mitverfasst und bei der Uno in Genf vorgestellt. Als Grundlage dienten ihr nach eigenem Bekunden auch mehrere Zeitungsartikel, darunter ein drei Jahre alter Bericht aus dem Regionalteil der "Süddeutschen Zeitung" vom Juli 2008. Und tatsächlich: In dem Beitrag kommt ein Hauptschulrektor zu Wort, der von Kindern berichtet, die ihm gesagt hätten, sie seien morgens ohne Frühstück aus dem Haus gegangen.
Auch die wirtschaftlichen und sozialen Zustände in Ostdeutschland werden in dem Bericht scharf gerügt. Die dazu nötigen Informationen hat die "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde", kurz GBM, beigesteuert. Unter den Mitgliedern des Vereins sind viele ehemalige DDR-Funktionäre, auch manch früherer Stasi-Bediensteter. Sie haben es der Bundesrepublik bis heute nicht verziehen, dass ihre Renten gekürzt werden, nur weil sie zu DDR-Zeiten ih-re ostdeutschen Mitbürger drangsaliert haben sollen. In der Öffentlichkeit fällt die Truppe sonst dadurch auf, dass sie Fidel Castro einen Menschenrechtspreis verlieh und die Verdienste der Deutschen Demokratischen Republik in Leserbriefen preist.
Umso schöner für die Genossen, dass es ihnen gelungen ist, die Uno-Leute auf ihre Seite zu ziehen. Der Ausschuss sei besorgt über die "Diskriminierung", die bei der Behandlung von "Versorgungsansprüchen ehemaliger Minister und stellvertretender Minister der DDR zum Ausdruck kommt", heißt es in dem Bericht. Das entspricht genau der Formulierung, die Harald Nestler, ehemals Handelsrat der DDR in der Volksrepublik China, bei seinem Auftritt vor der Uno in Genf vorgeschlagen hatte.
Eigentlich erstaunlich, dass nur zwei Dutzend Lobbygruppen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Bundesrepublik bei der Weltgemeinschaft anzuschwärzen. Die Anhörungen in Genf finden in angenehmer Atmosphäre statt. Kritische Nachfragen durch die Uno-Vertreter sind nicht zu befürchten, im Gegenteil. Die unter anderem aus China und Weißrussland stammenden Ausschussmitglieder schienen, so ein Teilnehmer, ehrlich empört darüber zu sein, wie die Menschenrechte in der Bundesrepublik mit Füßen getreten würden.
Als einen Tag später der aus dem Bundessozialministerium angereiste Staatssekretär Andreas Storm vor dem Ausschuss auftrat, stand das negative Urteil deshalb schon fest. "Wenn es um Deutschland geht", so ein Mitglied des Uno-Ausschusses, "sind wir auch immer besonders streng."