Hallo Jurek,
von diesen Kriegsspielen halte ich als pensionierter Berufs-Offizier und Fallschirmjäger (Bundeswehr) auch nicht viel. Wir in Deutschland sind von diesen Spielchen kuriert (auch wenn man es im Ausland nicht glauben mag).
Andererseits bitte ich um Verständnis (das heißt nicht Akzeptanz!!). In vielen anderen Staaten sind solche nachgestellten Manöver üblich, allen voran USA, aber auch in Frankreich. In Deutschland beschränkt man sich auf historische Schlachten (einschließlich Lagerleben). Rechtsradikale Deutsche führen diese Kriegsspiele in der Tschechischen Republik und auch in Polen durch, wo sie interessanterweise von dortigen (tschechischen und polnischen) Nationalisten unterstützt werden.Sie lassen dort auch die in Deutschland verbotenen Nazi-Schriften drucken (ein echtes Ärgenris)
Lieber Jurek, leider ist Deine Darstellung einseitig - wahrscheinlich, weil Du das andere Kolberg nicht kennst.
Ich war 16.-19. März 2009 (also vor wenigen Tagen) in Kolberg, als Gast bei den Gedenkfeiern anläßlich der "Beendigung der Kämpfe um Kolberg".
Nachfolgend einige Korrekturen und Ergänzungen zu Deinem Bericht:
1. Die Rote Armee und polnischen Streitkräfte haben nicht am 21.März, sondern am 18.März 1945 Kolberg eingenommen, nachdem der damalige deutsche Kommandant von Kolberg, Oberst Fritz Fullriede, die Stadt - nach Rettung von über 80.000 Menschen über See - aufgegeben hat (entgegen Führerbefehl).
2. Die polnischen Bürger in Kolberg sprechen nicht mehr von "Befreiung". Mindestens seit 2000 heißt es seitens der Stadt und der poln. Verteranen offiziell "Beendigung der Kämpfe..." (2004 sagte mir ein 90jähriger poln. Veteran: Wir haben nicht befreit und wurden nicht mit Blumen empfangen, im Gegenteil..."
Die Formulierung aus kommunistischer Zeit "Rückgewinnung" hat man schon bald nach der Wende aufgegeben.
3. Du schreibst: "Bis auf eine kleine Gruppe deutscher Soldaten, die am Hafen zum Schluss nicht mehr wegkamen..."
Richtig ist, daß 150 Soldaten zur Rückendeckung in Kolberg blieben - wissend, daß sie in Gefangenschschaft gehen (außerdem kamen noch einige Desserteure in Gefangenschaft)
4. Der St.Marien-Dom (die Umbenennung in Kathedrale erfolgte erst später) wurde nicht bewußt verschont. Im Gegenteil, er war auch eine Ruine und sollte später ganz abgetragen werden. Dies wurde kurioserweise durch das poln. Militär verhindert, das in dem noch intakten Teil des Kirchenschiffes ein Museum für Panzer und Artzilleriegeschütze eingerichtet hatten. Später wurde dann der Dom mit Mitteln der Kirche und Spenden wieder aufgebaut.
5. Es handelt sich nicht um ein Kriegsmuseum (in der Str. E.Gierczak) sondern um ein Militärmuseum, dem zweitgrößten in Polen.
Nebenbei, lieber Olaf: Das Museum untersteht nicht der Stadt, sondern dem Landkreis.
Am 17.März wurde gemeinsam der Gefallenen gedacht. Polen und Deutsche legten - nach einem militärischen Zeremoniell - gemeinsam Blumen am poln. Soldaten-Ehrenmal und am deutschen Soldatengrab ab. Auch der polnische Stadtpräsident, die Vorsitzende des poln. Stadtrates und der aus Warschau privat angereiste, für Veteranen zuständige Minister am deutschen Soldatengrab. Am Abend erhielt ein anwesender deutscher Veteran dieselbe Auszeichnunge wie einige polnischen Veteranen.
Am 18.3. begrüßte der neue poln. Propst in St.Marien in seiner Predigt die deutschen Gäste auf Deutsch, besonders die ehemaligen deutschen Einwohner von Kolberg. Später würdigte er auch die Leistungen der "deutschen Kriegsmarine" bei der Evakuierung der Deutschen im März 1945.
Lieber Jurek, Du schreibst selbst, daß alte und junge Polen in Kolberg offensichtlich auch kein Gefallen an diesem Kriegsspielchen gefunden hatten. Danke. Dann sollte man dieses "Schauspiel" aber auch nicht so herausstellen. Ich weiß, das solche Darstellungen auch unter polnischen Veteranen umstritten sind. Vor 4 Jahren fand etwas Ähnliches am Denkmal "Vermählung mit dem Meer" statt - auf Betreiben von Warschau. Die Kolberger Veteranen: "Das ist aber das letzte Mal".
Soweit ich informiert bin, war das gestrige Kriegsspielchen keine Angelegenheit der polnischen Veteranen, sondern - wie Du schreibst - eine Schau des neuen, sehr jungen Museums-Direktors, der neuen Generation der Museumsleute angehörend, die Erlebnis-Museum gestalten (und "nur tote Exponate" ablehnen). Ich bin glaube (ich habe ihn gesprochen, bevor ich von dieser Planung gehört hatte), daß er nicht weiß, wie unpassend diese Aktion ist. Ich glaube, daß er als Technokrat nur den Erfolg sucht. Ich werde ihn bei meinem nächsten Kolberg-Besuch darauf ansprechen - direkt, nicht über dieses Forum oder über dritte Personen.
Kolberg - weder Stadtpräsident und Stadtrat noch Bevölkerung - kann man in eine nationalistische Ecke stellen. Kolberg ist beispielhaft weltoffen. In St.Marien ist eine Schautafel über den letzten deutschen evangelischen Pastor Paul Hinz (in einer poln. katholischen Kathedrale !!). Über dem Museumseingang im Braunschweigschen Haus (Str. Armii Krajowej, gegenüber vom Dom) befindet sich auch in deutscher Sprache der plakatgroße Hinweis "Die Geschichte von Kolberg" (nicht Kolobrzeg). Der poln. Stadtpräsident war vor 2 Jahren Gastredner beim Kolberger Bundestreffen in Travemünde - mit großem Applaus. In einer poln. Kolberger Zeitung wird regelmäßig über die deutsche Zeit vor 1945 berichtet.
Im Jahr 2000 hat die poln. Stadt mit eigenem (!!) Geld das erste deutsche Lapidarium im heutigen Polen errichtet. Bei der 750-Jahr-Feier der Stadtgründung wurde im Dom eine deutsch-polnische, katholisch-evangelische Messe gehalten - mit drei polnischen Bischöfen und dem deutschen evangelischen Bischof aus Greifswald, obwohl noch wenige Monate vorher eine katholische Messe geplant war. Der Bitte von unserer Seite wurde problemlos und ohne Auflagen entsprochen.
Mitunter habe ich den Eindruck, daß die polnische Jugend in unserem Kolberg mehr an der deutschen Geschichte Kolbergs interessiert ist als unsere Jugend in Deutschland. Bei meinen Kolberg-Besuchen spreche ich gern deutsche Kurgäste an. Sie sind sehr zufrieden und lieben Kolberg - ABER erschreckend ist, daß sie kaum etwas über die deutsche Geschichte dieser Stadt wissen, oft noch nicht einmal, daß Kolberg über 700 Jahre deutsch war. Im Jahr 1255 erhielt Kolberg gemeinsam vom deutschen Bischof in Cammin und dem wendischen Pommernherzog (auch eine seltene Besonderheit) die Stadturkunde und zwar ausdrücklich für die "Deutschen" des bereits bestehenden Ortes. Das alte wendische Kolberg (lange Jahre Hauptstadt eines großen Wendeneiches) lag 2 km landeinwärts, später das Dorf Altstadt (Budzistowo).
Ich bin der Meinung, daß man die positiven Gegebenheiten als nachahmenswertte Beispiele öffentlioch herausstellen sollte, Betriebsunfälle dagegen - wie dieses Kriegsspielchen (und es gibt leider schlimmere Negativ-Beispiele) - in Ruhe und Sachlichkeit mit den Betroffenen und vor allem Verantwortlichen bereden sollte.
Mit einer Generalanklage ist niemandem gedient. Sie bleibt erfolglos und erzielt das Gegenteil.
Das war viel und lang, sorry - aber Kolberg ist nicht nur mein Hobby, sondern auch die Geschichte meiner Familie - seit 1230. Ich bin stolz auf die Leistung der deutschen Kolberger vor 1945, aber auch stolz auf die Leistung der polnischen Kolberger nach 1945. Und ich arbeite daran, daß die polnischen Kolberger sich nicht nur an die deutsche Geschichte Kolbergs erinnern, sondern auch auf die Einzigartigkeit Kolbergs und Leistungen ihrer deutschen Bürger stolz sind, ohne die geschichtliche Wahrheit zu verbiegen.
Ich weiß, lieber Jarek, daß Du es gut gemeint hast, und verstehe somit auch Deinen Beitrag. Umso mehr wundere ich mich aber über die Anmerkung der Moderatoren, die sich von Deinem Beitrag distanzieren. Meinungen müssen ausgesprochen werden, damit sie korrigiert werden können, - und vor allem, damit man sich überhaupt verständigen kann. Toleranz anderer Meinungen ist - ebenso wie die Wahrheit - die Voraussetzung für ein gutes Miteinander.
Gruß aus Bayern von einem nachgeborenen Kolberger.