Bismarck - Janusköpfig? D/PL

  • Mit Bismarck verbinden sich im deutschen Geschichtsunterricht der Sekundarstufe 2 eigentlich viele positive Aspekte: Diplomat, Ausgleich mit den Nachbarn suchend, Verträge schließend, usw, usw...
    Allerdings ist Bismarck in Polen fast eine Hassfigur. Jedenfalls ein Bild, welches in der Politik gerne bemüht wird, um gegen einen äußeren Feind Mobil zu machen.

    Meine Frage geht dahin: Sind eventuell kompetente Leute beider Flagge und Schulausbildung in der Lage, mir eine schlüssige Antwort zu geben?
    Bzw. jeweils das empfundene/und auch geschichtlich richtige Bild zu liefern?

    Danke Im Voraus

    Jurek

  • Warum Bismarck in der polnischen Wahrnehmung eine Hassfigur darstellt, erschließt sich mir nicht ganz. Die polnische Situation war insgesamt in diesen Zeiten problematisch - es gab keinen polnischen Staat und auch die polnische Sprache war in deutschen Schulen verboten.
    Bismarck selbst verbinden die Deutschen heute noch mit ihrem bis heute geltenden Sozialsystem. Zugleich schreibt man ihm das Bild eines Taktikers zu, der politisch klug handelte. Bismarcks Erfolge als Politiker sind in der Geschichtswissenschaft weitestgehend unbestritten, der spätere Kaiser Wilhem II. kommt diesbezüglich dagegen recht schlecht weg bei Historikern.

  • Ich glaube, dass Bismarcks Polenpolitik hauptsächlich aus seinem Antikatholizismus entstand. Er sah den Katholizismus als Hauptübel an und bekämpfte ihn deswegen. Viele Maßnahmen gegen die Polen war deshalb nicht ursächlich gegen das 'Polentum' an sich gerichtet, sondern gegen den Katholizismus. Da die polnische Kultur sehr eng damit verbunden war, traf dieser 'Kulturkampf' natürlich auch die Polen. Polnisch gab es halt vorwiegend in katholischen Schulen.
    Bismarck hielt die polnischen Adligen für Faulpelze und sah hier als Ursache auch die katholische Lebenseinstellung.
    Klar, dass man sich mit so einer Einstellung nicht beliebt macht bei den Polen. Es ist sowieso ganz klar, dass ein fremder Despot immer als übler betrachtet wird, als die eigenen. So ist die menschliche Natur. Auch das Verhältnis zu Friedrich dem Großen ist so extrem unterschiedlich: Von den Deutschen verehrt, von den Polen verdammt. Da hilft es wenig auf die Leibeigenschaft der polnischen Bauern in der Zeit vor der Teilung Polens zu verweisen - oder auf die gänzlich fehlende Schulbildung der nichtadligen Kinder, geschweige denn polnische Schulbildung. Friedrich der Große führte die allgemeine Schulbildung ein und wandelte die Leibeigenschaft in so eine Art Frondienst.
    Aber nichts will der Mensch mehr, dass wenn er es schon mit Despoten zu tun hat, dass es wenigstens seine eigenen sind.

  • Das ist richtig, was du beschreibst, Oda. Aber genau im Hinblick auf diesen Kulturkampf und vor diesem Hintergrund kann ich nicht erkennen, warum das polnische Geschichtsbild in bezug auf Bismarck in Polen offenbar so anti-polnisch gedeutet wird. ( jurek: Literatur dazu würde mich übrigens interessieren! Gibt es da was?) Es war eine grundsätzliche Leitlinie der preußischen Politik unter Bismarck, die Kirche aus politischen und gesellschaftlichen Feldern zu verdrängen. Genauso wie Bismarck die SPD um Lasalle suspekt war, war er gegenüber allen "Gruppierungen" einschließlich der katholischen Kirche argwöhnisch, die nicht überall die preußische Staatsräson im Blick hatten. Also ist hier möglicherweise die anti-polnische Einstellung Bismarcks anachronistisch, das heißt, im nachhinein konstruiert? Ich wüsste derzeit keine Quelle, die das hergibt, aber es mag sein, dass es doch Aussagen von Bismarck hierfür gibt.

  • Mulder, auch wenn es Aussagen Bismarcks zu Polen gibt, wird es schwer sein, zu unterscheiden, ob seine Abneigung aus der intensiven Verbundenheit Polens mit dem Katholizismus her rührt, oder einfach ein Rassismus war.
    Aber Bismarck hat schon eine Reihe von Gesetzen erlassen, die die Polen in Preußen stark benachteiligt haben. Bismarck begründete dies mit der Assimilierungsfeindlichkeit der Polen in Preußen, besonders nach dem Aufstand 1864. Danach gab es nur noch die deutsche Sprache in den westpreußischen Schulen.

    Ansonsten sprichst Du ein sehr heikles Thema an: Im Nachhinein kann man natürlich Geschichte einfach als eine Kausalkette interpretieren und hat dann ein ziemlich stimmiges Bild von den Kreuzrittern, über die Ostbesiedlung, Friedrich dem Großen, Bismarck bis hin zu Hitler. Das überall andere Motivationen vorlagen und es doch sehr unterschiedliche Ausprägungen der Germanisierung gab, tritt dann häufig in den Hintergrund.

  • Auch andere Zeitzeugen sprachen mitunter von der Assimilierungsfeindlichkeit der Polen. Diese Haltung sollte man mit Bismarck allein nicht personifiziert sehen.
    Es gibt einen Briefwechsel zwischen Bismarck und seiner Schwester. Darin heißt es im Jahre 1861 von Bismarck.

    "Haut doch die Polen, daß sie am Leben verzagen, ich habe alles Mitgefühl der Welt für ihre Lage, aber wir können auch nichts dafür, daß der Wolf von Gott geschaffen ist, wie er ist, und man schießt ihn doch dafür tot, wenn man kann."

    Eine solche Sichtweise ist nicht zwingend anti-polnisch, sondern sie folgt einem fatalen Kalkül eines vermeintlich logischen Naturgesetzes (Geht es um Macht?) und womöglich auch einer subtilen Haltung gegen die polnische Elite, die daher rührte, dass er die polnischen Geistlichen und Adeligen als Widerstandskräfte gegen das Königtum ausmachte. Gegen solche Kräfte war ganz einfach anzugehen. Man muss hinzufügen, dass das Streben nach einer Nationenbildung im 19. Jahrhundert ein europaweites Phänomen war (Polen, Italien etc.) und Rassismus ebenso europaweit zu beobachten war. Auch hier würde ich Bismarck eher als einen der moderaten Vertreter seiner Zeit sehen.
    Es breitete sich gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein zunehmender Nationalismus aus, der auch in Polen berühmte Nationaldichter wie Adam Mickiewiecz hervorbrachte. Insofern war die Forderung nach einer Nation oder Nationalismus nichts Ungewöhnliches, aber die Abschlagung und Zurückdrängung polnischer Interessen nach dem Aufstand 1863 zugleich eine nach Bismarck machtlogische Antwort. Ich kann auch hier beim besten Willen keine zutiefst verankerte anti-polnische Haltung Bismarcks erkennen.
    Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 entstand ohnehin eine ganz andere Dynamik, denn nun ging es um die Nationenbildung, die den traditionellen Strukturen Westpreußens überhaupt nicht mehr gerecht wurde.
    Bismarck als Polenhasser oder als zutiefst anti-polnisch zu sehen, wäre meiner Meinung nach anachronistisch und würde zu wenig das preußische Denken in die Bewertung aufnehmen, das von einer Staatsräson geprägt war. Sein Anti-Katholizismus und sein Misstrauen gegen die katholische Soziallehre (Adolf Kolping) war wohl etwas tiefer verwurzelt.

    Einmal editiert, zuletzt von Mulder (28. April 2009 um 14:49)

  • Zitat

    Original von jurek
    Mit Bismarck verbinden sich im deutschen Geschichtsunterricht der Sekundarstufe 2 eigentlich viele positive Aspekte: Diplomat, Ausgleich mit den Nachbarn suchend, Verträge schließend, usw, usw...
    Allerdings ist Bismarck in Polen fast eine Hassfigur. Jedenfalls ein Bild, welches in der Politik gerne bemüht wird, um gegen einen äußeren Feind Mobil zu machen.

    Meine Frage geht dahin: Sind eventuell kompetente Leute beider Flagge und Schulausbildung in der Lage, mir eine schlüssige Antwort zu geben?
    Bzw. jeweils das empfundene/und auch geschichtlich richtige Bild zu liefern?

    Danke Im Voraus

    Jurek


    Bismarck und die Deutschen das waren doch für die Polen Besatzer, wie sollte man denn über sie denken :mysli

  • Zitat

    Bismarck und die Deutschen das waren doch für die Polen Besatzer, wie sollte man denn über sie denken :mysli

    Ich befürchte, in den Kategorien hat man damals nicht gedacht. Die Österreicher waren ja auch 'Besatzer' und da gab es sogar eine sehr enge Allianz. Der Kaiser wurde nicht gehasst. Ich denke der Haß war eine Folge des 'Kulturkampfes'.

  • Ich schreibe jetzt nicht, was die Bayern bis heute noch über die Menschen sagen, die fünf Zentimeter nördlich der Donau wohnen...vielleicht traut sich ja der Urbayer Olaf? :ROTFL

  • Danke an alle für die Details bisher -
    Dass eine Besatzungsmacht und deren Chef eher schlecht angesehen ist, ist klar,
    doch von einem "Kulturkampf" gegen Polen seitens Preußen/Bismarck war mir so detailliert bisher nichts bekannt.
    Danke für die Info's...
    @Mulder: Hab keine Literatur dazu, doch ein offenes Ohr bei meinen polnischen Bekannten - wir sprachen neulich zufällig über Bismarck...

    jurek

  • Zitat

    Original von Oda

    Ich befürchte, in den Kategorien hat man damals nicht gedacht. Die Österreicher waren ja auch 'Besatzer' und da gab es sogar eine sehr enge Allianz. Der Kaiser wurde nicht gehasst. Ich denke der Haß war eine Folge des 'Kulturkampfes'.


    Ich glaube,man hat schon damals in solchen Kategorien gedacht.Sonst wäre der Wille, die Unabhängikeit wiederzugewinnen, nicht zu erklären.

  • Zitat

    Ich glaube,man hat schon damals in solchen Kategorien gedacht.Sonst wäre der Wille, die Unabhängikeit wiederzugewinnen, nicht zu erklären.

    Warum gab es denn solchen nicht bei den Österreichern? Mit Stolz tragen bis heute einige Polen Adelstitel, die ihnen die Donaumonarchie verlieh. Und der einzige Aufstand in Österreich richtete sich gegen polnische Adlige..
    Klar gab es Unabhängigkeitsbestrebungen und den Wunsch nach einem eigenen Staat, aber ich bezweifele, dass es 'Hass wegen Besatzung' gab. Die meisten Polen waren doch nie zuvor unabhängig. Ob man nun einen preußischen Ritter, einen polnischen Szlachcic oder österreicheischen Herren hat, ist doch eigentlich egal. Der Hass resultierte nicht aus der Besatzung an sich sondern aus der Polenpolitik.

  • Zitat

    Original von Oda

    Warum gab es denn solchen nicht bei den Österreichern? Mit Stolz tragen bis heute einige Polen Adelstitel, die ihnen die Donaumonarchie verlieh. Und der einzige Aufstand in Österreich richtete sich gegen polnische Adlige..
    Klar gab es Unabhängigkeitsbestrebungen und den Wunsch nach einem eigenen Staat, aber ich bezweifele, dass es 'Hass wegen Besatzung' gab. Die meisten Polen waren doch nie zuvor unabhängig. Ob man nun einen preußischen Ritter, einen polnischen Szlachcic oder österreicheischen Herren hat, ist doch eigentlich egal. Der Hass resultierte nicht aus der Besatzung an sich sondern aus der Polenpolitik.


    Die Polen hatten also im Prinzip nichts gegen fremde Besatzung nur etwas gegen einige Aspekte der Innenpolitik der Besatzer?Unsinn.

  • Zitat

    Die Polen hatten also im Prinzip nichts gegen fremde Besatzung nur etwas gegen einige Aspekte der Innenpolitik der Besatzer?Unsinn.

    Es ging um Hass, bitte genau lesen.

  • Lieber Sapere Aude, liebe Oda,

    bitte, es ging mir darum, weil mich als in Deutschland aufgewachsenem, das aufgrund der sehr unterschiedlich wertenden Wahrnehmung der historischen Figur des "Preussen in Staatsraison" - Bismarck - interessierte, die Gründe für diese unterschiedliche Bewertung besser zu verstehen.
    Es wurde "Kulturkampf" genannt, dass die polnische Sprache in den Schulen verboten war, dass Bismarck fast als Antikatholik zu bezeichen war, dass er die mangelnde Assimilation der besetzten Polen in Preußen beklagte, und in einem Brief an seine Schwester schrieb: (Zitat Moulder):

    "Haut doch die Polen, daß sie am Leben verzagen, ich habe alles Mitgefühl der Welt für ihre Lage, aber wir können auch nichts dafür, daß der Wolf von Gott geschaffen ist, wie er ist, und man schießt ihn doch dafür tot, wenn man kann."
    Eine solche Sichtweise ist nicht zwingend anti-polnisch, sondern sie folgt einem fatalen Kalkül eines vermeintlich logischen Naturgesetzes (Geht es um Macht?)..."
    (Zitat Moulder Ende)

    Es war die Zeit des aufkeimenden Nationalismus in Europa. Bismarck war auch in der damaligen Weltpolitik teils nur ein kleines Rädchen, und in seiner Zeit und den damit verbundenen politischen Mechanismen verhaftet. Seine fatalistische Äußerung im Brief gegenüber seiner Schwester jedoch deutet damals breits schlimmeres an...

    Danke an Euch, Moulder, Oda, das Ihr mir einen Einblick in Eure Detailkenntnisse gewährt habt.
    Das macht es mir leichter, das bei uns in Deutschland durchweg positive Bild der Sekundarstufe 2 dieser für Deutschland wichtigen historischen Figur aus der polnischen Sicht zu relativieren.

    Vielen Dank!

    Jurek

    3 Mal editiert, zuletzt von jurek (12. Mai 2009 um 01:12)

  • Jurek - natürlich war auch Bismarck dem Geist seiner Zeit verhaftet. Ihn als den Protagonisten des aufkeimenden Nationalismus zu sehen, wäre meiner Ansicht nach etwas falsch. Ich empfehle übrigens für diese Zeit als Nachschlagewerk noch immer den T. Nipperdey,Deutsche Geschichte, im Beck Verlag erschienen. (Ich hoffe, das war jetzt nicht Schleichwerbung :mysli). Lothar Gall und andere haben dazu auch viele wertvolle Beiträge geliefert.


  • Das ist doch Darwinismus auf Internationaler Ebene, geanu das dachte und versuchte auch in die Tat umzustetzen Hitler, die Stärkeren haben das Recht die Schwächeren zu vernichten....

    Es ist im Prinzip egal, welche Politik Bismarck betrieben hat, das Problem war, daß er diese Politik nicht nur in Deutschland sondern auch in Polen verfolgte.....

  • Das ist Sozialdarwinismus, um es genauer zu formulieren, aber erkläre mir bitte einmal, Sapere Aude, auf welchen Füßen deiner Meinung nach dann die heutige Machtpolitik steht? Geschichte war und ist immer auch Machtpolitik gewesen, ist es auch heute noch. Ich will hier nicht Bismarck verteidigen, aber ich kann nicht erkennen, was an ihm hier so besonders sein soll. Und es ist schon mutig, in dieser Denkrichtung eine Kontinuität zu Hitler sehen zu wollen. Da ist leider noch eine Menge hinzugekommen.

  • Zitat

    Es ist im Prinzip egal, welche Politik Bismarck betrieben hat, das Problem war, daß er diese Politik nicht nur in Deutschland sondern auch in Polen verfolgte.....

    Zu dieser Zeit war ein Teil Polens Bestandteil von Preußen. Polen saßen im preußischen Reichstag.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!