.... dann kann er was erzählen.
So heißt ja wohl ein urtypisches Sprichwort.
Was soll ich also berichten, von meiner Fahrt nach Berlin - heute mal ohne Auto....
Da ich keine direkte Verbindung nach Berlin habe, muss ich wohl oder übel einige Stationen mit der S-Bahn fahren.
Abfahrt 3:34 Uhr, so steht es jedenfalls im Fahrplan.
Es ist frisch auf dem Bahnsteig, dafür aber absolut ruhig. Kein Wunder um diese Uhrzeit.
3:38! Wo bleibt mein Zug?
Aus der Ferne höre ich eine Lautsprecheransage - irgendetwas mit Gleis drei.
He, das bin ich! Mist, ich verstehe kein Wort. Verständlich - der Bahnsteig ist ja immens lang und die Lautsprecher hängen ganz hinten am anderen Ende. Tolle Technik!
Ich trabe los, immerhin will ich noch die Durchsage hören. Auf wichtige Informationen kann ich nicht verzichten.
Nicht schlecht, solch ein Jogging-Programm der "Deutsche Bahn" am frühen Morgen, denke ich.
Als ich die Lautprecher erreiche höre ich nur noch ein Knacken.
Pech gehabt!
Ein Fahrgast, der wohl auch auf den Zug wartet, bemerkt meine Fassungslosigkeit.
"10 Minuten Verspätung" klärt er mich auf.
Aha!
Meine Deutschlandreise steht anscheinend unter keinem glücklichen Stern.
Der Zug fährt ein, ich suche mir einen Sitzplatz. Kein Problem - um diese Uhrzeit fährt kein Mensch.
Soll ich meinen Mantel ablegen? Macht eigentlich keinen Sinn, die Fahrt dauert ja nur knapp 20 Minuten.
Ich schaue eine Zeitlang aus dem Fenster. Wo sind wir jetzt eigentlich? Nicht, dass ich meinen Ausstieg verpasse. Die Beleuchtung im Abteil ist so grell, dass sie sich in den Scheiben widerspiegelt. Außerdem sind die Scheiben dermaßen verkratzt, dass das Entziffern der Graffiti-Zeichen meine ganze Aufmerksamkeit beansprucht.
Eine leere Cola-Dose rollt unter einem Sitz hervor und langsam auf mich zu.
Argwöhnisch beobachte ich ihren Angriff. Ab und zu findet ein Tropfen des süssen Gesöffs den Weg aus der Öffnung und hinterläßt eine schmutzige Spur auf dem Weg ins Getränke-Nirwana.
Unaufhaltsam rollt das Grauen auf mich zu.
Im letzten Moment - ich überlege gerade, ob ich nicht vielleicht doch meine Füße aus der Todeszone bringen soll - legt sich der Zug in eine sanfte Rechtskurve, die Dose rollt an mir vorbei.
Glück gehabt.
Ich muss aussteigen.
Der Anschlußzug kommt erst in 45 Minuten - also noch genügend Zeit für ein kleines Frühstück.
In einem Nobelrestaurant, gekennzeichnet mit einem großen "M" finde ich schnell, was ich suche. "Sweet Breakfast" steht dort auf der Tafel. Hört sich doch gut an, denke ich. Obwohl - bedeutet "break" nicht auch irgendwie brechen.....?
2 Croissants, Butter, Marmelade, heißer Kaffee. Für nur 2 fuffzig. Und ein Plastikbesteck ist auch schon dabei. Kann man nicht meckern.
Während ich so an meinem Gourmet-Frühstück knabbere beobachte ich die Menschen um mich herum. Und wundere mich. Wie kann man nur um diese Uhrzeit schon Quietschburger mit Pommes futtern? Grausen packt mich. Das langsame Siechtum der deutschen Esskultur ist wohl nicht mehr aufzuhalten.
Ein etwas ungepflegter Mann, ich schätze ihn so auf Ende dreißig, beobachtet mich heimlich von der Seite. Ich beobachte heimlich zurück. Plötzlich setzt er sich in Bewegung und kommt auf mich zu. Auch das noch!
"Do you speak english?" will er von mir wissen.
Na klar, denke ich. Und nicht nur englisch. Darf es vielleicht auch etwas polnisch sein? Und mit einigen Brocken russisch kann ich auch dienen.
Er hält mir sein Ticket unter die Nase. "Where is my train?" will er von mir wissen, während er dermaßen an seinem Kaffee schlürft, dass sich mein Trommelfell beschwert.
Hallo? Heiße ich Hartmut Mehdorn? Woher soll ich denn wissen, wo dein Zug ist? Ideen haben die Leute. Trotzdem werfe ich einen Blick auf sein Ticket. In fast perfektem englisch kläre ich Quasimodo darüber auf, dass sein Zug erst in 12 Minuten kommt. Auf Gleis 12. Er strahlt. Ich auch. So früh am Tag und schon eine gute Tat vollbracht. Und so früh am Tag sprühe ich schon vor Intelligenz. Irre!
Ich schaue auf die Bahnhofsuhr. Mein Zug nach Berlin kommt in 8 Minuten. Gleis 18. Also noch etwas Zeit. Ich suche die Toiletten. In diesem Nobelrestaurant gibt es so etwas allerdings nicht. Klasse! Kaffee trinken darf man hier aber bei der Entsorgung wird man alleine gelassen. "Im Bahnhof, da hinten" klärt mich die Service-Kraft des Restaurants auf.
Zum Glück sind es nur einige Schritte.
70 Cent! Ohne kommt man nicht durch das Drehkreuz. Ich fasse es nicht. Zum Glück habe ich es passend.
2 Minuten später ereilt mich mein Schicksal. Das Drehkreuz klemmt! Panik kriecht mir den Rücken rauf. Mein Zug! Wie verrückt reiße ich an dem Metallgestänge. Leute - ich hab´s eilig!
Endlich!
Ich haste die Treppen zum Bahnsteig hoch. Der Zug wartet schon auf mich. Zischend öffnen sich die Türen. Geschafft!
Ich bin angenehm überrascht. Der Zug ist fast leer und die Abteile haben eine tolle Ausstattung. Na ja, denke ich, Intercity eben.
Ich suche mein Abteil. Wie von Geisterhand gleiten die gläserenen Verbindungstüren leise zischend auseinander. Tolle Sache! Willkommen beim Unternehmen Zukunft.
Mein Abteil liegt direkt hinter der Lok und bis auf zwei Fahrgäste menschenleer. Wieso habe ich eigentlich eine Platzreservierung? Ich bemerke die grüne Tür zum "Maschinenraum" und während ich noch überlege, ob ich vielleicht einen Blick riskieren soll, greift meine Hand auch schon nach dem Türgriff.
Abgeschlossen!
War ja klar. Und das bei dem Fahrpreis.
Enttäuscht mache ich es mir auf meinem Platz gemütlich. Tolle Sitze, fast wie im Flieger, denke ich.
Kaum habe ich es mir etwas gemütlich gemacht, werde ich auch schon nach meinem Ticket gefragt. Kritisch betrachtet der Schaffner - pardon, Zugbegleiter, so viel Zeit muss sein - mein Bahnticket. Ein bißchen zu kritisch, wie ich finde.
Bin ich etwa im falschen Zug?
Klack!
Das Geräusch des Entwerters reißt mich aus meinen Gedanken. Also doch der richtige Zug. Prima! Dann kann´s ja losgehen.
Der Zugbegleiter lässt mich wieder allein.
Ich döse ein wenig vor mich hin, Langeweile macht sich breit. Noch vier Stunden bis Berlin.
In Dortmund steigen zwei weitere Fahrgäste zu. In mein Abteil! Komische Leute. Passen so gar nicht zu mir.
Kurz darauf Fahrscheinkontrolle. "Sie sitzen im falschen Zug. Sehe ich sofort". Der Zugbegleiter kennt keine Gnade. "Aber bleiben sie jetzt mal sitzen. Aussteigen geht ja nicht mehr. Wir fahren ja schon" höre ich ihn sagen. Ein Witzbold. Und das bei der Bahn!
Wir sind wieder allein.
Erst jetzt bemerke ich etliches Zubehör an den Sitzen. Was das wohl alles bedeutet?
Ich drücke auf einem der Knöpfe rum.
Peng!
Mit einem Knall fällt ein kleines Tischchen aus seiner Halterung. Ist ja irre! Sogar eine kleine Vertiefung für Getränkedosen oder Kaffeebecher ist vorgesehen. Habe ich aber nicht. So ein Pech. Hätte ich gerne einmal ausprobiert. Ich hole mein Handy aus der Tasche. Es passt. Wunderbar.
"Kaffee?"
Ich schaue auf. Ein anderer Zugbegleiter mit einem Tablett steht neben mir. Pappbecher mit duftendem Kaffee verströmen einen herrlichen Duft im Abteil. Ich lehne dankend ab, der Kampf mit dem Drehkreuz kommt mir in den Sinn. Außerdem ist der Platz für den Pappbecher ja schon vom Handy belegt und beides geht ja wohl nicht.
Das duftende Schwarzgetränk verlässt das Abteil und ich erforsche wieder meinen Sitz.
Und finde einen weiteren Hebel. Rechts. An der Seite. Ziemlich versteckt.
Ich drücke drauf und - nichts. Kann nicht sein. Für irgendwas ist das Ding bestimmt gedacht.
Ich probiere eine andere Technik. Ziehen! Nach oben ziehen. Ganz einfach.
Ratsch!
Mit einem gräßlichen ratternden Geräuch finde ich mich fast schlagartig in der Beinahe-Horizontalen wieder.
Schlafwagen? Hab ich doch gar nicht gebucht.
Verflixt!
Irgendetwas klemmt jetzt. Ich bekomme den Sitz nicht wieder nach oben. Jedes Ruckeln und Zerren bleibt ergebnislos. Ich kann doch den Rest der Fahrt nicht halbliegend verbringen. Wie sieht das aus?
Mein Blick fällt auf meine Platzreservierung. Platz 81. Ich sehe mich um.
Ich sitze falsch! Platz 87!
Zum Glück hat noch niemand mein Mißgeschick bemerkt.
Mit übertriebener Lässigkeit schleiche ich zu meinem reservierten Platz. Mal wieder Glück gehabt.
Mein Bedarf an Experimenten ist für heute gedeckt.
Erstmal.....
9:20 Uhr.
Wir erreichen Berlin. Ich bin am Ziel. Mit knapp 12 Minuten Verspätung....
Indem ich mir meinen Mantel anziehe und das derangierte Abteil verlasse überlege ich, ob meine nächste Fahrt nach Berlin mit meinem Auto wohl besser wäre .....
Mal sehen .....