Heute ist der 21.März 2009.
Polen ist EU-Mitglied.
Polen ist seit Jahrzehnten ein unabhängiger Staat.
Polen hat gemeinsam mit der russischen Roten Armee am 21.März 1945 Kolberg eingenommen.
Alle Einwohner Kolbergs sowie die vielen pommerschen und ostpreussischen Flüchtlinge wurden unter Schiffsartillerieschutz deutscher Kriegsschiffe in den letzten Tagen der eingekesselten, die letzten 700 Jahre deutschen Stadt evakuiert.
Mit Fischerkähnen, Ruderbooten, Segelbooten, alles, was ein paar Menschen wegbringen konnte, auf die Frachter und großen Schiffe, die auf der Reede lagen. Bis auf eine kleine Gruppe deutscher Soldaten, die am Hafen zum Schluss nicht mehr wegkamen...
Soweit die letzten Stunden dieser ehemals deutschen Stadt, die von der russischen Artillerie dem Erdboden zu jenem Zeitpunkt weitgehend gleichgemacht war.
Bis auf die Marienkathedrale, die als Artillerie-Zielpunkt möglichst stehenbleiben sollte.
Heute, am 21.März 2009 flanieren auch viele deutsche Touristen über die Strandpromenade von Kolobrzeg. Eine Kurstadt die aus der Historie zehrt, doch auch erfrischend neu ist. Die Gäste kommen aus Berlin, sind 50-90 Jahre alt, und, wenn sie nicht am heute ebenfalls veranstalteten Kolberger Stadtlauf über die Promenade teilnehmen, genießen sie die frische Seeluft, erholen sich bei einer gekonnten Massage, die der Wirbelsäule guttut, oder stehen an der Läufer-Strecke, und klatschen Beifall, wenn der 90-Jährige aus Hamburg auf seinem 12 km-Lauf vorbeikommt. Mehr gehend als laufend.
Doch dann hört man im Hafenviertel Schüsse, Panzermotoren.
Die Leute zucken unwillkürlich zusammen, fühlen sich bedroht.
Die polnische Armee rückt an, und zelebiert die Eroberung Kolbergs als Befreiung.
Heute ist nicht nur Tag des Stadtlaufes, sondern auch Tag der Befeiung Kolbergs.
Mit Kriegsspielen auf der Strandpromenade:
Soldaten schießen,
werfen sich hinter Häuserecken, töten die verhassten Feinde erneut,
erobern Kolberg erneut.
Panzer rollen zum Leuchtturm, die sind aus dem Kriegsmuseum, welches im einzigen erhaltenen Gebäude aus der Hansezeit in Kolberg untergebracht ist.
Das ganze war eine Idee des Chefs jenes Museums der Tötungsinstrumente.
Viele Leute schauen sich das Spektakel an.
In früheren Jahren kam eine Abordnung der polnischen Armee, marschierte zum Denkmal an der Promenade, legte einen Kranz nieder, salutierte.
Heute werden hier auch Kriegsspiele inszeniert.
Ich will nicht in den Kopf des 90-Jährigen Läufers aus Hamburg sehen, wenn er zurückdenkt an das, was ihm hier einst als Junge wiederfuhr, als er nun die Schüsse und die Panzermotoren wieder hören musste. Obwohl er nur zu einem Stadtlauf in seine alte Heimatstadt gekommen ist.
Auch nicht in den Kopf des alten Polen, der kopfschüttelnd der Kriegsinszenierung kurz zusah, den Kopf senkte und wegging. Wie auch viele andere seiner Generation.
Ich sah eine alte Frau, die die Hände vors Gesicht schlug, und im weggehen anfing zu weinen.
"Das ist für die polnischen Helden".
Hört man aus der Presse: Der Kriegsmuseums-Direktor,
Wächter über die mitten in Kolberg ausgestellten Mig's, Raketenwerfer und Kanonen macht ein Fass auf.
Die positive Identifikation mit allem, was mit Waffen und mit Armee zu tun hat, ist in Polen sehr hoch. Hier sind alle Veteranen Helden, ohne Makel, ohne jegliche Krititk an der Sache an sich. Die Sache heißt Krieg.
Jurek