http://www.rp.pl/artykul/61991,…_nad_Wisla.html
Polen - neue europäische Großmacht?
Ich habe vor kurzem ein recht "interessantes" Interview in "Rzeczpospolita", einer konservativen polnischen Zeitung, entdeckt, welches ich den Forumusern nicht vorenthalten möchte. Dieses Interview beschäftigt sich mit der möglichen zukünftigen Entwicklung Polens und den polnisch-amerikanischen Beziehungen. Dieses Interview ist daher interessant, weil als Interviewpartner hier George Friedman auftritt, einer der Gründer von "Stratfor" und ein bekannter us-amerikanischer Politologe. Das Interview führte Piotr Zychowicz.
Interview
Eine neue Macht an der Weichsel
Piotr Zychowicz(PZ): Kann Polen auf einen so unbeständigen Partner wie die USA setzen? In den Vereinigten Staaten haben vor kurzem die Präsidentschaftswahlen stattgefunden und es sieht so aus, als würde Obama auf den Raketenschild verzichten.
George Friedman(GF): Polen muss auf die USA setzen. Es hat keine andere Wahl. Und diese ganze Geschichte mit dem Raketenschild - ist eine zweitrangige, unbedeutende Frage. Die Polen müssen aufhören sich so viele Gedanken darüber zu machen. Auch wenn Obama von diesem Vorhaben zurücktritt, ist das kein großer Bruch. Das hat nicht den geringsten Einfluss auf die langfristige Strategie der USA bzgl. Polen. Raketenschild - das ist kein strategisches Problem. Ein strategisches Problem ist der Umstand, dass in den nächsten Paar Jahren Russland wieder an der polnischen Grenze sein wird. Über Weißrussland und auch im Bereich der Karpaten.
PZ: Ist Ukraine schon verloren?
GF: Die prowestlichen Kräfte sind dort auf dem Rückmarsch und der russische Einfluss wächst. Das geschieht nicht nur aufgrund der innenpolitischen Auseinandersetzungen, sondern auch bedingt durch die wirtschaftliche Struktur dieses Landes. Die "Orangene Revolution" repräsentierte nur eine politische Fraktion und in langfristiger Perspektive kann sich herausstellen, dass diese Fraktion nicht mal die Stärkste war. Der Wettkampf, den USA und Russland in der Ukraine ausgetragen haben, ist zu Ende. Das, was in Georgien passiert ist, hat den Menschen in der Ukraine gezeigt, dass die internationalen Garantien nichts wert sind.
PZ: Nicht nur in der Ukraine.
GF: Ich vermute, dass auch in Polen viele zu dem Schluss gekommen sind, dass die Mitgliedschaft in der NATO keine 100% Sicherheitsgarantie darstellt. Jedoch hat die russische Operation in Georgien auf die USA wie ein Weckruf gewirkt. Die USA wachen immer langsam auf, aber wenn sie aufgewacht sind, dann handeln sie sehr schnell. Die USA haben realisiert, dass Vladimir Putin das russische Imperium wiederaufbaut. Und demzufolge beginnt die russische Expansion in den Westen.
PZ: Und Polen steht da im Weg.
GF: Polen befindet sich an einer besonderen Schnittstelle zwischen Russland und Europa. Deswegen seid ihr ein natürlicher Partner der USA, das einzige Land, das in der Lage ist die russischen Ambitionen zu zügeln. Somit ist es belanglos, ob beide Seiten es wollen oder nicht, eine Annäherung zwischen unseren Ländern ist unausweichlich. Das ist eine Frage der Geographie.
PZ: Zu Zeiten des Kalten Krieges spielte die Rolle dieser Pufferzone - Westdeutschland. Warum greifen die USA auf dieses Konzept nicht wieder zu?
GF: Weil russische und deutsche Interessen - z.B. in den Fragen der Energieversorgung - heute übereinstimmen. Deutschland ist keine potentielle anti-russische Kraft, jedoch ein Staat, der eine Allianz zwischen Westeuropa und Russland kreieren könnte. Aber so eine Allianz ist aus Sicht der USA absolut inakzeptabel. Das wäre eine zu starke Kombination. Daher wird jetzt Polen zu unserem strategischen Verbündeten in dieser Region.
PZ: Aber ist Polen nicht zu schwach um zu einem europäischen Israel zu werden?
GF: Natürlich ist Polen schwach. Und deswegen müssen die USA es stark machen.
PZ: Wie? Doch etwa nicht durch das Raketenschild auf unserem Territorium mit lächerlichen 10 Abfangraketen?
GF: Nein! Ich wiederhole es nochmal: die Polen sollten endlich aufhören sich so viele Gedanken über den Raketenschild zu machen. Dieses System hat nichts mit dem Schutz eures Territoriums zu tun, weil es dafür tatsächlich nicht geeignet ist. Das ist eine vorübergehende Lösung. Wir sprechen jedoch von strategischen Interessen. Das was die Amerikaner wollen - ist das Aufhalten Russlands in seiner Expansion Richtung Westen, eine Verteidigungslinie entlang der Karpaten. Um das zu erreichen brauchen wir einen starken Verbündeten. Wer kommt für die Lösung dieser Aufgabe in Frage? Dafür reicht ein Blick auf die Karte. Und es spielt keine Rolle, wer in naher Zukunft unser Land regieren wird - Obama, Bush oder sonstwer - die USA werden alles tun, um Polen möglichst stark zu machen.
PZ: Was genau?
GF: Die amerikanische Strategie ist in solchen Fällen immer die gleiche. Hilfe beim Aufbau einer starken Wirtschaft und Transfer von Militärtechnologien in großem Umfang. Wie sie richtig bemerkt haben - israelisches Modell. Aber es gibt auch andere Beispiele: Südkorea, Japan, Nachkriegsdeutschland. Die USA setzen ihre Armee gewöhnlich großflächig nicht ein. Das Ziel der USA - ist eine Situation zu erschaffen, wo ihre Verbündete selbst zu einer Macht werden.
PZ: Das hört sich ein wenig unrealistisch an.
GF: Und wie hätten sie reagiert, wenn ich ihnen 1950 gesagt hätte, dass armes, zerstörtes Südkorea zu einer Regionalmacht mit einer ungewöhnlich straker Wirtschaft wird? Sie hätten mich ausgelacht. Aber es war um einiges unvorstellbarer, dass Südkorea von damals diese Ergebnisse erzielt, als Polen von heute. Und wenn wir schon von Verbündeten in Zentraleuropa sprechen, so wissen die USA, dass polnische Kultur um einiges dynamischer und stärker ist als die Deutsche.
PZ: Danke Sehr.
GF: Ich meine das ernst. Deutschland ist seit dem zweiten Weltkrieg psychologisch schwach geworden. Erinnern sie sich an die Worte, die Angela Merkel in Sankt-Petersburg ausgesprochen hat, als sie sich mit Präsident Medwedew traf. Sie sagte, dass es keine NATO-Erweiterung mehr geben würde. Das ist ein wichtiges Moment in der Geschichte. Weil Merkel anstatt nach Washington zu fahren, nach Sankt-Petersburg fuhr, und sich somit eindeutig an Seite Russlands und nicht der USA gestellt hat. Das ist ein kritisches Moment, der die Schwäche Deutschlands bzgl. Russland demonstriert. Deutschland hat nicht den geringsten Wunsch mit Russland zu konfrontieren.
PZ: Aber die Polen haben ihn?
GF: Vielleich auch nicht - aber ihr habt keine Wahl. Wenn ihr 500 Miles westlicher liegen würdet, dann hättet ihr euch sicherlich keine Sorgen machen müssen. Es geht hier nicht mal um polnische Wünsche, sondern um polnische Antwort auf russischen Wunsch. Und der ist sehr groß.
PZ: Ich an Stelle der Amerikaner hätte versucht die deutsch-russische Partnerschaft zu zerstören und hätte dann auf stärkeres Deutschland gesetzt.
GF: Das ist wahr: die deutsche Wirtschaft ist heute stärker als die Polnische. Aber das Land ist ein sozialistischer Dinosaurier. Polen jedoch befindet sich noch in der Entwicklung. Heute seid ihr schwächer als Deutschland, aber eure Möglichkeiten für die Entwicklung sind um einiges größer. Wenn ich mir Deutschland anschaue, dann sehe ich ein Land, das zu einer Übereinkunft mit Russland strebt. Wenn ich mir Polen anschaue, dann sehe ich ein Land, das sich diesen Luxus nicht erlauben kann.